Die Geschichte von „Be Thou My Vision“ fängt nicht mit einem Lied an, sondern mit einem jungen Mann aus dem 5. Jahrhundert – dem heiligen Patrick. Mit nur 16 Jahren wurde er von Piraten verschleppt und in Irland als Sklave verkauft.
Kein besonders hoffnungsvoller Start ins Leben! Aber gerade dort lernte er die gälische Sprache, die Kultur – und vor allem fand er zu Christus.
Ein paar Jahre später gelang ihm die Flucht zurück nach England. Die meisten hätten gesagt: „Endlich frei, jetzt bleibst du schön daheim!“ Aber Patrick spürte, dass Gott ihn zurück nach Irland rief – diesmal nicht als Sklaven, sondern als Missionar.
Und dann kam Ostersonntag im Jahr 433. Der lokale König verbot jede Art von Feuer oder Licht, weil ein heidnisches Fest stattfand.
Patrick aber entschied: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apostelgeschichte 5,29). Also stieg er mitten in der Nacht auf den Hügel Slane, zündete ein riesiges Feuer an – und zeigte allen: „Ich diene nicht dem König, sondern Christus.“
Sein Licht ließ sich nicht verstecken (vgl. Matthäus 5,14–16: „Ihr seid das Licht der Welt… man stellt ein Licht nicht unter den Scheffel.“).
Viele Jahre später komponierte jemand eine Melodie zu Ehren von Patricks Mut und nannte sie „Slane“ – nach eben diesem Hügel. Diese Melodie überdauerte Jahrhunderte, obwohl ihr ursprünglicher Komponist längst vergessen ist.
Aber woher kommt eigentlich der Text von „Be Thou My Vision“? Überliefert ist ein altes gälisches Gedicht aus dem 6. Jahrhundert, geschrieben von St. Dallán Forgaill – ein poetisches Gebet, in dem Gott als „mein Kampfschild“ und „mein hoher Turm“ angerufen wird (vgl. Psalm 18,3: „Der HERR ist mein Fels, meine Burg und mein Retter.“).
Leider stammt die älteste erhaltene Kopie erst aus dem 14. Jahrhundert, und der Verfasser ist nicht mehr eindeutig zu belegen. Deshalb steht in den meisten Gesangbüchern einfach „Anonym“.
Für lange Zeit gerieten sowohl die Melodie „Slane“ als auch der Text „Rop tú mo Baile“ in Vergessenheit – bis 1905 eine junge Studentin namens Mary Byrne den Text ins Englische übersetzte.
1912 schrieb Eleanor Hull ihn in die poetische Form, die wir heute im englischen Original kennen, und kombinierte ihn mit der alten Melodie „Slane“. Das Ergebnis? Eine Hymne, die sich rasant verbreitete – und 2019 ihren 100. Geburtstag in moderner Form feierte.
Die Geschichte von „Be Thou My Vision“ ist im Grunde ein Spiegel des Evangeliums: Gott nimmt, was die Welt für tot und bedeutungslos hält, und haucht neues Leben hinein (vgl. Hesekiel 37,5: „Siehe, ich bringe Odem in euch, dass ihr lebendig werdet.“).
Ein vergessenes Gedicht. Eine alte Melodie. Beides vereint – und plötzlich wieder voller Kraft und Schönheit.
Dieses Lied erzählt vom neuen Leben:
- vom neuen Leben des heiligen Patrick, der Gottes Licht nicht versteckte,
- vom neuen Leben Irlands, das vom Heidentum zum Glauben an Christus fand,
- und vom neuen Leben jedes Einzelnen, dem Gott in seiner Gnade begegnet
Und es ist sogar das neue Leben für das Lied selbst – das Gott nach Jahrhunderten wieder aufleben ließ, um Millionen von Menschen zu segnen.
Am Ende erinnert uns „Be Thou My Vision“: Gottes Wege sind nicht unsere Wege (Jesaja 55,8–9). Kein Mensch, kein Lied, keine Geschichte ist so alt oder vergessen, dass Gott sie nicht wieder neu machen könnte.
Der Nebel mag sich über Hügel legen, Könige und Reiche vergehen – aber Gottes Licht leuchtet, wie damals auf dem Slane Hill, klar und unaufhaltsam.

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